Begegnung mit einer ungewöhnlichen Lehrerin

Wortschatz

Begegnung mit einer ungewöhnlichen Lehrerin

 

Am vergangenen Samstag haben wir Michael und Luise Wacker verabschiedet. Sie haben acht Jahre das Haus der Stille in Weitenhagen geleitet. Zur Grußstunde sind alle ermutigt, zu erzählen, was wir mit ihnen im Haus der Stille erlebt haben und wozu es dieses auch in Zukunft braucht. Hier ist mein Beitrag in ausführlicherer Form:

 

Es war bei meinem ersten Seminar in Weitenhagen Ende August 2022. Wir haben 30 Minuten Stille für uns, um über einige Fragen und unser Leben nachzudenken. Ich will los und ziehe Turnschuhe an. Ich freue mich auf die aktive Bewegung und bin bereit, Neues zu entdecken und dabei mit Gott ins Gespräch zu kommen. Ich gehe die ersten Schritte Richtung Wald, die Wiese ist noch nass.

Doch ich komme nicht weit.

Ich werde gestoppt. Vor mir, auf der großen Wiese, von links, kreuzt mich Miss W. Sie stellt sich mir in den Weg und stoppt meinen Weg.

Ein prächtiges Exemplar einer Weinbergschnecke! Ich beuge mich herunter. Was für ein herrliches Bild! Und sie bremst meine Geschwindigkeit, alles schnell kennenlernen zu wollen. Und Miss W? Sie knabbert an einem Stück Kleeblatt. Faszinierend! Sie frisst – in ihrem Tempo. Habe ich schon jemals eine Schnecke fressen sehen? Sie isst richtig. Genial!

Und ich merke: Hier begegnet mir mehr als eine Schnecke. Hier ist der Schöpfer am Wirken. Hier stellt sich mir der Herr in den Weg. Hier bremst mich mein himmlischer Vater. Gott redet. Auch heute. Er gebraucht dazu alles Mögliche. Auch Weinbergschnecken. Bileam hatte seinen Esel, Jona seinen Fisch, Elia seine Raben. Ich habe meine Lehrerin Miss W.

Ich kniee mitten auf der Wiese im nassen Gras und bin in Gedanken versunken. Da geht es schon weiter. Miss. W. ist fertig mit ihrer Mahlzeit. Sie macht sich auf den Weg. In ihrem Tempo. Gelassen, klar, unaufgeregt, unabhängig macht sie sich auf den Weg. Fast majestätisch gleitet sie dahin.

Langsam, ja, sehr langsam, mir eigentlich viel zu langsam. Und doch so faszinierend. Und doch – sie kommt voran. Schritt für Schritt, wenn man das bei einer Schnecke sagen kann. Nein, kann man nicht, aber Zentimeter für Zentimeter kommt sie voran. Sie hat ein Ziel, aber keine Eile. In etwa zwei Meter Entfernung ist der Busch.

Sie hat ein Ziel, aber keine Eile, denn sie hat ihren Heimathafen, ihren Rückzugsort, Ihren Geborgenheitsort, immer dabei. Auf dem Rücken getragen … Auf ihrem wunderschönen Haus ist die Spirale der Ewigkeit zu sehen. Himmlische Heimat, das ist die Perspektive. Das ist für mich die Botschaft.

Tief bewegt und voller Respekt gehe ich im Bogen um Miss W. herum und gehe weiter. Nach einer viertel Stunde komme ich nochmal vorbei. Sie ist ja nicht weit weg. Aber sie ist auf dem Weg und einige Zentimeter vorangekommen.

Gott bringt mir hier bei: Der negative Klang des Schneckentempos verflüchtigt sich für mich an diesem Samstagnachmittag. Gott bremst meinen schnellen Alltag und begegnet mir. Und ich will lernen, langsamer und dennoch zielstrebig weiterzugehen. Michael und Luise Wacker haben ihren Anteil daran – den Blick für Gottes Reden und seine Schöpfung zu schärfen – Danke! Ja und darum braucht es auch solche Häuser der Stille wie in Weitenhagen weiterhin. Wahrscheinlich dringender als je zuvor, wenn ich an unsere schnelle, gestresste und volle Zeit denke, wo uns oft alles zu viel ist.

Wer sind heute deine Lehrer?

 

„Frag nur die Tiere, sie lehren es dich; die Vögel des Himmels, sie künden es dir; die Fische des Meeres erzählen es dir. Wer von ihnen allen wüsste nicht, dass die Hand des HERRN dies gemacht hat? In seiner Hand ruht die Seele allen Lebens.“ (Hiob 12,7–9)

 

Photo of apical view of a shell of Powelliphanta hochstetteri bicolor.

 

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